Eine Schwangerschaft stellt für die werdende Mutter wohl eines der - oder sogar das
einschneidendste Ereignis ihres Lebens dar. Vor allem die erste Schwangerschaft einer Frau ist dabei
mit vielen Unsicherheiten, Ängsten und Fragen verbunden. Gleichzeitig gibt es wohl kaum ein
anderes Thema über welches so viele Halbwahrheiten und Mythen kursieren, wie die
Schwangerschaft. So hält sich hartnäckig die These, man solle während der Schwangerschaft
keinesfalls mehr als 5kg heben/tragen. Dabei werden individuelle Faktoren wie die Gesundheit und
das Fitnesslevel der Frau völlig außer Acht gelassen. Aus Unsicherheit entscheiden sich viele Frauen
dafür, sich in der Zeit der Schwangerschaft zu schonen, um sich und das Ungeborene nicht in Gefahr
zu bringen. Über den tatsächlichen aktuellen wissenschaftlichen Stand bzgl. Körperlicher Aktivität
und Training während der Schwangerschaft soll im folgenden Artikel aufgeklärt werden.
Vorteile von körperlicher Aktivität in der Schwangerschaft
Körperliche Belastung in der Schwangerschaft kann als sicher angesehen werden. Es bestehen keine
Nachweise dafür, dass reguläre physische Aktivität bei Frauen mit einer unkomplizierten
Schwangerschaft zu Fehl- oder Frühgeburten, einem geringeren Wachstum des Fetus oder
muskuloskelettalen Verletzungen führt.
Im Gegensatz dazu können physische Inaktivität und exzessive Gewichtszunahme als unabhängige
Risikofaktoren für Übergewicht und andere schwangerschaftsbezogene Erkrankungen (z. B.
Schwangerschaftsdiabetes), verantwortlich gemacht werden. Ferner gibt es zahlreiche Punkte, die
für eine sportlich aktive Schwangerschaft sprechen. So kommt es deutlich seltener zu einem
Auftreten von übermäßiger Gewichtszunahme, Schwangerschafts-Diabetes Mellitus, Bluthochdruck
in der Schwangerschaft, Frühgeburten, Kaiserschnittgeburten, zu geringem Geburtsgewicht,
Reduktion der körperlichen Fitness, Körperlicher Schmerzen und funktioneller Einschränkungen.
Obesity in pregnancy. Practice Bulletin No. 156. American College of Obstetricians and
Gynecologists [published erratum appears in Obstet Gynecol 2016;128:1450]. Obstet
Gynecol 2015;126:e112–26.
Artal R. The role of exercise in reducing the risks of gestational diabetes mellitus in obese women.
Best Pract Res Clin Obstet Gynaecol 2015;29:123–32.
Empfehlungen für körperliche Aktivität in der Schwangerschaft
Obwohl die Vorteile von körperlicher Aktivität in der Schwangerschaft unangefochten sind, sollten
gewisse Trainingsparameter eingehalten und die ausgeführte Sportart mit der zuständigen
Gynäkologin abgeklärt werden. Bei Komplikationen oder Kontraindikationen kann dann eine
individuelle Lösung gefunden werden. Für Schwangere und Frauen nach der Geburt werden
mindestens 150 Minuten moderate aerobe Aktivität pro Woche empfohlen. Frauen, die schon vorher
mit höheren Intensitäten trainiert haben, können diese beibehalten. Beispiele für Sportarten, die in
der Schwangerschaft ausgiebig erforscht und sicher sind: Walking, Radfahren (Ergometer), Aerobic-
Übungen, Tanzen, Krafttraining, Dehnungsübungen, Wassergymnastik.
ACOG Committee Opinion (2020) Physical activity and exercise during pregnancy and the
postpartum period
https://www.acog.org/clinical/clinical-guidance/committee-opinion/articles/2020/04/physical-
activity-and-exercise-during-pregnancy-and-the-postpartum-period
Doch was verändert sich eigentlich genau im weiblichen Körper während einer Schwangerschaft?
Eine Schwangerschaft führt zu körperlichen Veränderungen, die bei der Trainingsplanung auch
durchaus bedacht werden sollten. Die offensichtlichsten Veränderungen sind eine Gewichtszunahme
und eine Verschiebung des Körperschwerpunkts, die zu einer Verstärkung des sog. Hohlkreuzes
führen kann. Diese Veränderungen führen zu einer Mehrbelastung der Wirbelsäule. Das könnte einer
der Gründe sein, warum mehr als 60 % der Schwangeren im Laufe der Schwangerschaft Beschwerden
im unteren Rücken entwickeln. Aus diesem Grund sollte körperliche Aktivität in der Schwangerschaft
sogar ausdrücklich empfohlen werden, um die Muskeln zu stärken, die diese Mehrbelastung
ausgleichen müssen.
Wang SM, Dezinno P, Maranets I, Berman MR, Caldwell- Andrews AA, Kain ZN. Low back pain
during pregnancy:prevalence, risk factors, and outcomes. Obstet Gynecol
2004;104(1):65–70.
Auch das Herzkreislaufsystem passt sich seiner neuen Herausforderung an. Blutvolumen,
Herzfrequenz, Schlagvolumen Atemminutenvolumen nehmen während der Schwangerschaft zu, der
systemische Gefäßwiderstand nimmt dagegen ab. Um das Training sicher zu gestalten, sollte man als
nicht trainierte Person auf folgende Einstellungen achten:
• Puls nicht über 150-160 bpm
• Blutdruck nicht über 140/80
• Atemfrequenz 60 – 70 Atemzüge pro Minute
• Anstrengungsempfinden bei 6 (Skala von 1-10, 10 ist die maximale Anstrengung)
Fitnesstracker oder Pulsgurte sind einfache Hilfsmittel zum Messen der Parameter. Die Regulation
der Körpertemperatur ist abhängig vom Hydrationsstatus und der Umwelt. Während des Trainings
sollten Schwangere genug trinken, bequeme Kleidung tragen und große Hitze vermeiden.
Iannidou P. Training in der Schwangerschaft. Ein evidenzbasierter Leitfaden mit
Übungsbeispielen und Trainingsplänen. E-Book, S.15
Diese oben genannten Veränderungen sind für die Versorgung der Schwangeren und des Fetus
essenziell. Nach der 20. Schwangerschaftswoche kann die Rückenlage zu einem verminderten
venösen Rückfluss führen, weshalb diese Position ab da nicht mehr die geeignetste Position für ein
Training darstellt.
Mottola MF, Nagpal TF, Bgeginski R, Davenport MH, Poitra VJ. Is supine exercise associated
with adverse maternal and fetal outcomes? A systematic review. Br J Sports Med
2019;53:82–9
Eine Schwangerschaft unterliegt außerdem zu starken hormonellen Schwankungen. Bänder und
Gelenkstrukturen werden flexibler. Physisch bereitet sich der Körper auf die Geburt vor. Gerade in
dieser Zeit ist es wichtig weiter aktiv zu bleiben und durch Krafttraining, die Belastbarkeit der
Gelenke zu erhöhen.
Die Wirkung von Training auf den Fetus
Studien zeigen, dass der Herzschlag des Fetus während und nach dem Training um 10-30 Schläge pro
Minute ansteigt.
Szymanski LM, Satin AJ. Exercise during pregnancy: fetal responses to current public health
guidelines. Obstet Gynecol 2012;119:603–10.
Der Trainingsstatus während der Schwangerschaft hat insgesamt nur einen minimalen Einfluss auf
das Geburtsgewicht. Ausnahme stellt das dritte Trimester dar. Hier können große Anstrengungen zu
einem geringeren Geburtsgewicht führen (200- 400g). Dies war jedoch mit keinem erhöhten Risiko
für den Fetus verbunden.
Lokey EA, Tran ZV, Wells CL, Myers BC, Tran AC. Effects of physical exercise on pregnancy
outcomes: a metanalytic review. Med Sci Sports Exerc 1991;23:1234–9.
Kriterien für den Abbruch eines Trainings
Sollte es im Trainingsverlauf zu einem der folgenden Symptome kommen, sollte das Training
abgebrochen und ebenfalls Rücksprache mit der/dem Ärzt/in gehalten werden:
- Blutungen
- Reguläre schmerzhafte Schwangerschaftskontraktionen
- Austritt von Fruchtwasser
- Atemprobleme vor der Belastung
- Schwindel
- Kopfschmerz
- Brustschmerz
- Muskelschwäche, die die Balance beeinträchtigt
- Wadenschmerz oder -schwellung
ACOG Committee Opinion (2020) Physical activity and exercise during pregnancy and the
postpartum period
Risiken und Kontraindikationen
Bei Komplikationen oder Kontraindikationen sollte in Absprache mit einem Gynäkologen eine
individuelle Lösung gefunden werden. Zu den häufigsten Risikofaktoren gehören z.B. das Alter (40 +),
eventuelle vorangegangene Fehlgeburten, eine spezielle Anatomie der Gebärmutter,
Nebenerkrankungen wie Diabetes Typ 1, unkontrollierter Bluthochdruck und neurologische
Erkrankungen wie Epilepsie. Weitere Kontraindikationen können im Verlauf der Schwangerschaft
auftreten, sobald die Lage der Plazenta als auch das Kind gründlich untersucht worden sind.
WICHTIG! Sport ist kein Grund für eine Fehlgeburt, sondern kann viele schwangerschaftsbezogene
Nebenwirkungen reduzieren.
Dye TD, Knox KL, Artal R, Aubry RH, Wojtowycz MA. Physical activity, obesity, and diabetes in
pregnancy. Am J Epidemiol 1997;146:961–5.
Zusatz für Sportlerinnen:
Bedenkenlose Sportarten sind Schwimmen, Fahrradergometer (Fahrradfahren auf der Straße nur bei
geringem Unfallrisiko), Ruderergometer (je nach Bauchumfang), gerätegestütztes Krafttraining und
Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Tätigkeiten, die vor der Schwangerschaft regelmäßig
durchgeführt worden sind, können i.d.R. ebenfalls weiter ausgeübt und ggf. modifiziert werden. Für
geeignete Modifikationen sollte stets Rücksprache mit erfahrenen Trainer/innen oder
Therapeut/innen gehalten werden.
Risikosportarten sollten bis nach der Schwangerschaft pausieren. Dazu gehört jede Kontaktsportart
wie Basketball, Fußball, Kampfsport, Rugby, Football, Hockey. Sportarten bei denen Stürze oder
Gegenstände auf die Gebärmutter fallen könnten, wie Tennis, Squash, Klettern, Bouldern,
Trampolinspringen und Turmspringen (individuelle Modifizierung möglich). Sportarten wie Boxen
können am Sandsack weiterhin ausgeübt werden. Gewichtheben wird mit der Langhantel ab der 20.
Woche (individuell je nach Bauchumfang) problematisch und kann modifiziert werden. Kraftsport im
Maximalkraftbereich sollte ohne Gewichthebergurt mit 60-70% des Maximums trainiert werden. Hier
gilt es den Druck im Bauch nicht auf das maximale zu erhöhen, da dies potentiell kleine Gefäße im
Unterleib zum Platzen bringen könnte. Einzelne Sportarten können ebenfalls modifiziert werden.
Iannidou P. Training in der Schwangerschaft. Ein evidenzbasierter Leitfaden mit
Übungsbeispielen und Trainingsplänen. E-Book, S.15
In der Schwangerschaft wird man mit extrem vielen Tipps, Meinungen, Erfahrungswerten etc. konfrontiert, die wahrscheinlich meistens gut gemeint sind, jedoch auch oft für Verunsicherung bei der betreffenden Person sorgen können.
Ein Beispiel ist das Training der Bauchmuskulatur in der Schwangerschaft. Ich habe mir oft angehört, dass zu trainierte Bauchmuskeln einer entspannten Geburt im Wege stehen würden oder die Gefahr der Rectusdiastase (einem Auseinanderweichen der beiden geraden Bauchmuskelstränge, das bei jeder Schwangerschaft zwangsläufig entsteht) dadurch erhöht wäre.
Leider ist die Studienlage für Training in der Schwangerschaft einfach noch zu schlecht, um in vielen Bereichen sichere Aussagen zu treffen. Trotzdem gibt es viele Hinweise und Untersuchungen, die dafür sprechen, dass eine kräftige Bauchmuskulatur ein großer Pluspunkt während der Schwangerschaft darstellt, da sie die Wirbelsäule entlastet und das Gewicht des Babys stützt. Ferner können die Wehen während der Geburt effizienter genutzt werden. Nach der Geburt wird die Rückbildung der Rectusdiastase gefördert.
Das Bauchmuskeltraining sollte eher in Form von Halteaktivitäten (z.b. Plankvarianten) ohne starke Krümmung der Wirbelsäule (wie bei Sit Ups) stattfinden, in denen eine kontrollierte Atmung möglich ist, um hohe Druckbelastungen auf den Bauchraum zu vermeiden.
Trainingsstart nach der Schwangerschaft
Die Rückbildung kann/sollte so schnell wie möglich nach der Geburt begonnen werden. Je nach dem Gesundheitsstatus, Geburtsverlauf, ggf. vorhandenen Geburtsverletzungen, dem Status der Rectusdiastase etc. wird das "Training" individuell auf Dich abgestimmt, so dass es zu keiner Über- aber auch keiner Unterforderung kommt.
Die 5kg- Regel ist ein Mythos. Die Intensität des Trainings inkl. der Schwere des Gewichtes bestimmt der Trainings- und Gesundheitszustand der Frau.
Die Rectusdiastase ist die physiologische Spaltung des geraden Bauchmuskels (Rectus abdominus) während der Schwangerschaft. Sie ist mehr oder weniger stark bei allen Schwangeren vorhanden und kann oberhalb/unterhalb des Bauchnabels getastet werden. Problematisch ist diese nur, wenn es zu Bauchhernien kommt.
So lange keine Zusatzkomplikationen bestehen (z.B. Bauchhernien) dürfen/sollten die geraden Bauchmuskeln trainiert werden. Das Training der Bauchmuskeln zur Schließung der Restusdiastase braucht sehr viel Geduld und kann (je nach hormonellem Status) bis zu 18 Monate dauern.
Das Training darf - je nach Gesundheitszustand der Mutter und unter Beachtung der Wundheilungsphasen - sofort begonnen werden. Eine individuelle und kontrollierte Trainingsplanung ist in dieser Zeit besonders wichtig.
Die Entscheidung, wann das Joggen nach einer Geburt wieder möglich ist, ist höchst individuell. Aufgrund der hohen Stoßbelastung bedarf der Einstieg ins Joggen vernünftiger Vorbereitung. Ist diese erfolgt und bestehen keine Risikofaktoren, kann nach 12 Wochen mit dem Programm "Return to Running" begonnen werden.
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